„Übers Netz bringen täte ich den Ball auch heute noch“
Metzingen - Jörg Steidinger ist seit einem Dreivierteljahrhundert im Tennisclub. Es sind 75 Jahre, die sein Leben geprägt haben.
Jörg Steidinger wendet das Einladungsschreiben zum Tennisball in seinen Händen hin und her. Der Metzinger wird erst ein bisschen nachdenklich, dann muss er lächeln und schließlich schüttelt er den Kopf. „Das waren vielleicht Zeiten. Da wurde noch ganz groß gefeiert und gesellschaftlich war damals richtig viel los“, sagt er und legt die Karte wieder zur Seite. Die Einladung stammt aus dem Jahr 1987. Bis heute hat Steidinger sie aufgehoben. So wie jede Menge alte Schwarz-Weiß-Bilder von früheren Mannschaften und Feiern. Manche Fotos stammen aus den 1950er Jahren, andere aus den 70ern, fast zu jeder Aufnahme kann er eine Geschichte erzählen. Es sind Anekdoten aus einem Dreivierteljahrhundert Mitgliedschaft im Tennisverein – ein Jubiläum, für das der einstige Sport-Crack kürzlich erst geehrt wurde.
„Das Wichtigste sind die Kameradschaft, der Zusammenhalt und das Miteinander." Jörg Steidinger über seine Treue zum Verein
Wenn am kommenden Wochenende die Verbandsliga auf der Tennisanlage am Bongertwasen durchstartet, möchte Jörg Steidinger auf den Zuschauerplätzen sitzen und die „jungen Leute“ anfeuern, die für seinen Verein spielen. Auch heute, mit stolzen 90 Jahren, lässt er es sich nicht nehmen, den Club zu unterstützen – auch wenn er selbst den Schläger längst zur Seite gelegt hat. Mit 75 hat er beschlossen, aufzuhören, „weil das Knie einfach nicht mehr mitgemacht hat.“ Wäre er körperlich ein bisschen fitter, wäre es ihm durchaus zuzutrauen, dass er auch jetzt noch den Bällen hinterherrennen würde. Und tatsächlich: Manchmal juckt es ihn schon noch in den Beinen, wenn er den anderen zusieht. „Schließlich habe ich immer gern gespielt“, erzählt der Senior, der, selbst als er sich aus dem aktiven Geschehen zurückgezogen hat, nie auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet hat, seine Mitgliedschaft zu beenden. Aus dem Verein auszutreten, kam für Steidinger nie infrage. Zu eng ist sein Lebensweg verbunden mit dem Club, in den er 1950 eingetreten ist. Dass er vor 75 Jahren aufgenommen wurde, was allerdings keine Selbstverständlichkeit. Mitte des vergangenen Jahrhunderts war der 1933 gegründete Verein noch enorm elitär aufgestellt. „Es war der Club der Akademiker und Doktoren, der Fabrikanten und Geschäftsleute“, erinnert sich der Metzinger. Auf den 15-jährigen Steidinger schienen sie also nicht gerade gewartet zu haben. Doch zum Glück war sein Nachbar damals bereits Erster Vorsitzender. Dr. Fritz Herrmann hat für den sportlichen Jung-Spund gebürgt, dem Eintritt stand also nichts mehr im Weg – die Mitgliedschaft allerdings sollte nicht immer ein Vergnügen werden.
„Anfangs war die Anlage noch an der Schützenstraße, es gab drei Spielfelder und eine Holzhütte, und es war damals noch ein Tennis- und Eislaufverein“, erinnert sich der 90-Jährige an die Zeiten, in denen die Plätze gleich doppelt genutzt wurden. Wo die Sportler in den Sommermonaten die Schläger geschwungen haben, waren sie im Winter auf Kufen zugange. „Immer im Herbst haben wir die weißen Bänder vom Boden abgemacht und bei Minusgraden wurde Wasser auf die Fläche gespritzt. Dann konnten die Leute eislaufen“.
Der weit härtere Job erwartete die jugendlichen Mitglieder dann allerdings im Frühjahr, „wenn wir die weißen Linien wieder von Hand auf die Plätze eingedreht haben.“ Eine Heidenarbeit sei das gewesen, blickt der Metzinger zurück auf die Anfänge des weißen Sports in der Keltern-Stadt.
Als der „Eisbahnverein“ in den 1970er Jahren beschließt, auf den Bongertwasen umzuziehen, dort eine große Anlage und später zusätzlich eine Halle zu bauen und sich künftig nur noch Tennisclub zu nennen – das sei schon ein riesiger Schritt gewesen. Gleichzeitig haben sich die Reihen immer mehr für den Breitensport geöffnet und die Doktoren und Fabrikanten die Sportart gewechselt. „Das Golfspielen hat uns damals viele Leute weggenommen“, berichtet Steidinger von Tiefpunkten bei den Mitgliederzahlen – und von Höhenflügen, die folgen sollten. Denn als Steffi Graf und Boris Becker die Massen begeistert haben und an die Weltspitze aufgestiegen sind, hat auch der Verein am Bongertwasen einen Boom erlebt. 700, 800 Mitglieder hatte er auf einmal wieder. „Nur schade, dass wir heute keine so guten deutschen Spieler mehr haben. Bei den Damen geht ja gar nichts mehr und bei den Männern haben wir nur noch den wankelmütigen Zverev“, ist der 90-Jährige enttäuscht von der aktuellen Lage.
Er selbst war allerdings auch nie der große Spitzenspieler, erzählt er. „Ich war nicht so gut. Ich war ein Mannschaftsspieler und habe mich gefreut, wenn wir mal zusammen aufgestiegen sind. Nur im Doppel, da war ich mal Seniorenmeister“, berichtet Steidinger von seinem Sportlerleben, das neben dem Tennis auch der Fußball geprägt hat. Was für ihn aber fast noch mehr als die Leistung auf dem Platz gezählt hat, „das waren die Kameradschaft, der Zusammenhalt und das Miteinander“. Der Sport hat ihm treue Freunde beschert. „Wir vom Verein haben in der Krone in Urach ein Riesen-Fest gefeiert, als wir 1964 aufgestiegen sind“, erinnert er sich noch, als wäre es gestern gewesen.
Wenn er heute auf die Anlage geht, die er einst zusammen mit Hans-Emil Wurster, Adalbert Binder und Dr. Hans Köpf federführend geplant hat, ist er, der auch 20 Jahre lang Schatzmeister des Clubs war, noch immer stolz darauf, was die Metzinger hier geschaffen haben. Steidinger, der einst als Goldschmied gearbeitet hat und schon fast drei Jahrzehnte im Ruhestand ist, ist zufrieden mit der Entwicklung seines Vereins, in dem übrigens auch einer seiner drei Söhne aktiv ist. Und was wäre, wenn er es selbst dem Sohn gleichtun würde und noch mal auf den Platz ginge? „Rennen könnte ich zwar nicht mehr, aber einen Ball täte ich schon noch übers Netz bringen“, sagt er und hofft, dass die Metzinger Verbandsligaspieler in seinem Beisein am kommenden Wochenende nicht nur ein paar Bälle auf die andere Platz-Seite bringen, sondern auch ein paar Asse schlagen.
Quelle: SWP, Evelyn Rupprecht